Klimaneutralität darf nicht als Wettbewerb gesehen werden!

26.04.2021 | Allgemein

Mein Interview mit dem vorwärts

Klimaneutralität darf nicht als Wettbewerb in Europa gesehen werden, warnt Delara Burkhardt. Für das neue Klimaziel bis 2030 wird auch Deutschland noch eine „Schippe drauflegen müssen“, sagt die SPD-Europaparlamentarierin im Interview:

Deutschland hat 2020 seine Klimaziele erreicht. Die Corona-Krise hatte zwar daran ihren Anteil, trotzdem die Frage: Ist Deutschland in der EU jetzt wieder ein Vorbild für andere Länder, Delara Burkhardt?

Als Europäerin widerstrebt mir der Gedanke, das als Wettbewerb zu sehen. Deutschland ist das einzige Land das gleichzeitig aus Kohle- und Atomstrom aussteigt, andere Mitgliedstaaten haben andere Herausforderungen. Insofern ist die Ausgangssituation nicht vergleichbar. Aber natürlich wünsche ich mir, dass wir uns ambitioniertere Klimaziele setzen. Deutschland kann mehr machen, wir nutzen unser Potenzial nicht voll aus. Außerdem wissen wir, wo das Problem liegt: Wir haben einen Bremser in der Bundesregierung, das sehen wir immer wieder bei den Verhandlungen, zuletzt bei der EEG-Reform. Insofern hoffe ich, dass wir mit einer anderen Regierung im September auch auf europäischer Ebene neue Impulse setzen können.

Wir sollten das eher als gemeinsame Anstrengung und Herausforderung sehen, als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Dafür braucht es Solidarität und Zusammenarbeit, aber keinen Wettbewerb. Gerade mit der diese Woche gefundenen Einigung zu einem EU-Klimagesetz und der damit einhergehenden Erhöhung des EU-Klimaziels für 2030 von derzeit Minus 40 Prozent auf jetzt Minus 55 Prozent werden alle Länder, auch Deutschland, noch einmal deutlich eine Schippe drauflegen müssen.

Steht der CO2-Preis in Deutschland dabei nicht in Konkurrenz zum Emissionshandel auf europäischer Ebene?

Deutschland ist tatsächlich vorgeprescht mit dem CO2-Preis im Verkehr. Das war in Ordnung, weil es für diesen Bereich keinen europäischen CO2-Preis gab. Derzeit erwägt die Europäische Kommission aber, einen europaweiten CO2-Handel für Verkehr und Wohnen einzuführen. Dann wird Deutschland sein System dem anpassen müssen. Klar ist, dass für ambitionierterer Klimaziele der EU-Emissionshandel ETS angepasst werden muss, der Schwerindustrie, Energieversorgung und innereuropäischen Flugverkehr abdeckt, und dass wir für alle Sektoren klare Emissionsreduktionsziele brauchen.

Dafür wollen wir aber nicht einfach das bestehende System auf weitere Sektoren ausweiten. Denn wir befürchten, dass dann vor allem Pendler*innen und Mieter*innen zusätzlich belastet würden, während die Kosten für die Industrie nicht angemessen steigen. Wir wollen in Europa nichts beschließen, was vor Ort zu sozialen Verwerfungen führt, die wir auf europäischer Ebene nicht ausgleichen können. Gerade ein einheitlicher CO2-Preis auf fossile Brennstoffe könnte da zu einer toxischen Verteilungsdebatte führen.

 

Um Klimaziele zu erreichen, spielen auch natürliche CO2-Filter wie Wälder eine große Rolle. Die sind in Europa in einem schlechten Zustand. Kann die EU etwas daran ändern?

Wälder sind enorm wichtig als natürliche Kohlenstoff-Speicher, aber auch grundsätzlich für die Biodiversität. Wenn der Lebensraum Wald immer kleiner und der Zustand immer schlechter wird, werden wir auch den Klimawandel nicht aufhalten können.

Tatsächlich ist aber auch Waldpolitik bisher eine nationale Angelegenheit. Aber das wollen wir ändern, auch die Kommission hat dazu bereits eine Waldstrategie angekündigt. Es scheitert aber leider noch an ganz praktischen Dingen wie einer gemeinsamen Definition, was überhaupt ein Wald ist. Eine schöne Entwicklung allerdings: Die Waldfläche in Europa wächst wieder. Jedoch sind die europäischen Wälder in immer schlechteren Zustand. Wir müssen diese Wälder daher an die veränderten Klimabedingungen anpassen, also resilienter machen. In das neue EU-Klimaziel für 2030 sollen erstmals auch die CO2-Binde-Leistungen von Wäldern eingerechnet werden. Daher ist es umso wichtiger, unsere europäischen Wälder fit zu machen.

Allerdings müssen wir auch die globale Ebene in den Blick nehmen, denn wir tragen als Europäer*innen durch unsere Importe von Palmöl, Soja, Kaffee und Kakao wesentlich zur globalen Entwaldung bei. Es ist also höchste Zeit für eine globale Wald-Allianz. Die Europäische Union könnte dafür auf der UN-Artenschutzkonferenz im Oktober gute Impulse setzen.

 

Müssen wir eigentlich jetzt eine Renaissance der Atomkraft als klimaneutrale Energie fürchten? Ein Bericht für die EU-Kommission lässt das ja befürchten.

Das ist bisher nur eine Studie des JRC (Joint Research Centre). Die steht sehr in der Kritik, weil das JRC ursprünglich aus der Euratom (Europäische Atomgemeinschaft) hervorgegangen ist. Es wird da noch weitere Studien geben.

Für uns als SPD ist aber klar: Atomkraft ist nicht nachhaltig, allein schon, weil sie das Endlager-Problem in sich trägt, das wir auch auf deutscher Ebene noch nicht gelöst haben. Für zukünftige Generationen ist das eine riesige Belastung. Deswegen brauchen wir einen europäischen Atomausstieg. Es macht ökologisch und ökonomisch Sinn, wir haben Energien zur Hand, die sicherer, günstiger und sauberer sind. Atomstrom gehört nicht dazu.

Aber die Debatte ist noch sehr lebendig. Es gibt im Parlament und in der EU allgemein eine sehr starke Atomlobby. Die setzt sich aus Frankreich, osteuropäischen Staaten und großen Teilen der CDU/CSU, AfD und FDP zusammen, die in den entscheidenden Abstimmungen immer wieder für Atomkraft als nachhaltige Technologie stimmen. Da müssen wir noch mehr Wind machen.

 

Wie stehen die Sozialdemokrat*innen aus den anderen EU-Ländern denn dazu?

Bisher hatte die S&D da einen „Freevote“, die Mitglieder konnten also unabhängig voneinander abstimmen. Gerade die französischen Kolleg*innen und auch früher die Briten waren immer sehr pro Atom. Das hat sich inzwischen gewandelt, wir haben als Fraktion inzwischen die einheitliche Position, dass wir Atomkraft als nicht-nachhaltig begreifen. Es gibt einzelne, die noch abweichend abstimmen, das ist im EU-Parlament aber nicht ungewöhnlich. Wir haben eine klare Priorisierung bei Erneuerbaren Energien. Wir wollen keine umweltschädlichen Energieformen mehr subventionieren und darunter fassen wir auch Atomkraft.

 

Für Erneuerbare Energien fordern Expert*innen, dass Stromerzeugung nicht mehr national betrachtet wird. Wie weit sind wir von einem europäischen Energiemarkt noch entfernt?

Es gibt natürlich auf dem Energiemarkt noch viel Harmonisierungsbedarf zwischen den Mitgliedsstaaten – wie in jedem Bereich, der vom „Green Deal“ erfasst wird. Die Umsetzung liegt auf nationalstaatlicher Ebene, aber wir können natürlich Rahmenbedingungen setzen: Was begreifen wir als nachhaltig, welche Prioritäten setzen wir bei den EU-Fördermitteln? Der „Green Deal“ ist ja auch eine Investitionsoffensive. Dafür müssen wir aber ein gemeinsames Verständnis davon haben, wohin die Reise gehen soll.

 

Das Interview ist auf auch der Website des vorwärts abrufbar.