Viele Produkte im Supermarkt sind eng verbunden mit der Zerstörung von Regenwald weltweit. Warum ist das so?
Wenn die Regenwälder am Amazonas brennen und Menschen vertrieben werden, wenn in Südostasien der Lebensraum der Orang-Utans zerstört wird, wenn im Kongo-Becken riesige Waldflächen abgeholzt werden, dann scheint das zunächst fernab unseres Alltags in Europa zu geschehen In Wahrheit geht es uns aber mehr an, als uns lieb ist. Es ist paradox, denn es ist bisher völlig legal Regenwälder abzuholzen, um das Holz in der EU zu verkaufen und auf den frei gewordenen Äckern Rinder weiden zu lassen. Die Tiere werden geschlachtet und landen als Steaks in europäischen Supermärkten. Dieselbe Umwandlung in Fläche gilt auch für Soja, Palmöl, Kautschuk, Kaffee oder Kakao. Laut WWF ist die EU trauriger Vize-Weltmeister und trägt durch seine Importe zu 16% der weltweiten Waldzerstörung bei.
Ob wir es wollen oder nicht: Wenn wir einkaufen gehen, packen wir so fast immer ein Stückchen Waldzerstörung in unseren Einkaufswagen.
Vor Kurzem haben die EU-Staaten „grünes Licht“ für die EU-Verordnung zum Schutz der Wälder und indigener Waldgemeinschaften gegeben. Im Juni schon soll sie in Kraft treten. Was wird sich dadurch ändern?
Mit der neuen EU-Verordnung leisten wir einen sinnvollen Dienst für die Regenwälder der Welt, indigene Gemeinschaften und für europäische Verbraucher*innen. Produkte wie Rindfleisch, Holz, Soja oder Kaffee dürfen bald nur noch auf dem europäischen Markt verkauft werden, wenn die Importeure nachweisen können, dass für den Anbau und die Produktion keine Regenwälder in Ackerflächen umgewandelt wurden und keine Menschen vertrieben wurden. Sie müssen GPS-Daten der Anbauflächen dokumentieren, die mit Satellitenbildern abgeglichen werden können, um festzustellen, ob sie von ehemals bewaldeten Flächen stammen. Im Dialog mit den Indigenen gilt es Informationen darüber einholen, die belegen, dass keine Gebietsstreitigkeiten um die Anbauflächen bestehen.
Kleine und mittelgroße Unternehmen haben nun eineinhalb Jahre Zeit und große Unternehmen zwei Jahre, um diese Vorgaben umzusetzen. Verbraucher*innen können sich dann sicher sein, dass ihre Einkäufe nicht mehr zur Vernichtung von Regenwäldern und Landraub beitragen.
Auf EU-Ebene wird derzeit auch über ein sogenanntes „EU-Lieferkettengesetz“ diskutiert. Wie hängen beide Instrumente zusammen?
Es handelt sich beim EU-Lieferkettengesetz und der EU-Entwaldungsverordnung um zwei Gesetzestexte, die einander ergänzen. Das EU-Lieferkettengesetz wird großen Unternehmen Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und Natur auferlegen, die sie in ihren Lieferketten wahren müssen.
Die Entwaldungsverordnung ist eine Ergänzung dazu, eine Lex specialis, die spezielle Regeln für den Hochrisikosektor des Agrarprodukteanbaus vorgibt. Es geht in einigen Teilen einen Schritt weiter als das EU-Lieferkettengesetz und regelt Sorgfaltspflichten sehr detailliert für die Herstellung spezieller Agrarprodukte und liefert eine genaue Definition, was Entwaldung ist. Ein großer Unterschied ist, dass die Entwaldungsverordnung für Unternehmen jeder Größe gilt, die solche Produkte auf den europäischen Markt bringen wollen.
Einige Aspekte, die durch die Entwaldungsverordnung nicht abgedeckt werden, könnten durch das EU-Lieferkettengesetz aufgefangen werden. So verpflichtet die Entwaldungsverordnung Banken leider nicht dazu, ihre Investitionen auf die Unterstützung von Entwaldungstätigkeiten zu überprüfen, was das EU-Lieferkettengesetz ergänzen soll. Auch manche sozialen Rechte, wie der Schutz gegen Kinderarbeit wird nicht durch die Entwaldungsverordnung abgedeckt, aber durch das EU-Lieferkettengesetz – allerdings nur für große Unternehmen.
In der Textilindustrie arbeiten vor allem Frauen. Können sie zukünftig mit mehr Schutz und Teilnahme rechnen?
Von den 60 Millionen Menschen, die weltweit in der Textilproduktion beschäftigt sind, sind 80% Frauen. Damit sind es auch Frauen, die besonders von Hungerlöhnen, unbezahlten Überstunden, Gesundheitsgefährdungen und psychischen Übergriffen in dem Sektor betroffen sind. Egal ob Discounter oder Modemarke, den Preis am Ende zahlen die Arbeitnehmer*innen in der Textilproduktion.
Ein Beispiel von vielen, wie die Handelspraktiken europäischer Unternehmen zu Menschenrechtsverletzungen im Textilsektor führen: Häufig ändern europäische Modeunternehmen in letzter Minute ihre Bestellungen, erhöhen die Stückzahl oder ändern das Design. Kann der Zulieferer die geänderte Bestellung nicht fristgerecht liefern, drohen die europäischen Unternehmen mit Strafen. Die Zulieferer geben diesen Druck in ihren Fabriken an die Arbeiter*innen weiter: sie zwingen sie Überstunden zu machen oder verbieten ihnen sogar, auf die Toilette zu gehen.
Das europäische Lieferkettengesetz hat hier die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen von Millionen von Frauen zu verbessen: In Zukunft müssen Unternehmen tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt erkennen, verhindern, minimieren und beenden. Verletzt ein Unternehmen Menschenrechte, kann es haftbar gemacht werden. Auch eine NGO, Privatperson oder eine Gewerkschaft kann dann rechtliche Schritte gegen dieses Unternehmen einleiten. Dann drohen dem Unternehmen auch finanzielle Strafen. Dieses Risiko von Sanktionen möchte natürlich kein Unternehmen eingehen. Deshalb bietet das Lieferkettengesetz eine gute Grundlage, um die Arbeitsbedingungen von Frauen entlang der Textilwertschöpfungskette zu verbessern.
Du setzt dich insbesondere für nachhaltige und kreislauffähige Textilien ein. Warum ist ein Fokus auf diesen Sektor so wichtig?
Fast Fashion boomt und die Konsequenzen sind kaum zu übersehen. Wir konsumieren so oft und so viel, wie noch nie zuvor und der Trend ist steigend. Gleichzeitig tragen wir unsere Kleidung im Durchschnitt nur ein paar Mal und werfen sie in die Tonne. Von einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sind wir noch weit entfernt. Schauen wir uns das Design an: Bis zu 80% der Umweltauswirkungen von Produkten haben hier ihren Ursprung. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wie kann Kleidung designt werden, dass die in ihr verarbeitete Ressourcen wieder in einen Kreislauf kommen und wir nicht weiter Tonnen an Kleidung verbrennen und damit wertvolle Ressourcen verlieren. 1% der Kleidung wird überhaupt nur recycelt.
Der Textilsektor zählt zu den umweltschädlichsten Industrien der Welt und produziert mehr CO2 als der internationale Flugverkehr und Schifffahrt zusammen. Doch da hört die Umweltverschmutzung nicht auf: Freisetzung von Mikroplastik, Wasserverschmutzung und der Einsatz von gefährlichen Chemikalien sind nur ein paar weitere Probleme, die wir als EU angehen müssen.
Eine Kernforderung aus meinem Bericht ist das Verbot der Zerstörung von unverkaufter oder zurückgesendeter Ware. Wie paradox ist es, dass es rentabler ist, die Textilien, die entworfen, genäht und völlig funktionsfähig sind, zu vernichten, als weiterhin im Lager zu haben und zu verkaufen oder für die Wiederverwendung bereitzustellen. Klar ist für mich, dass die Verantwortung nicht allein auf die Konsument*innen abgewälzt werden darf. Zumal wir auch sehen, wie Greenwashing-Praktiken hier Menschen in die Irre führen. Nicht der Geldbeutel soll darüber entscheiden, ob jemand es sich leisten kann, nachhaltig einzukaufen oder nicht, sondern wir als Gesetzgeber*innen sind dafür verantwortlich, dass wir Standards und ein gemeinsames Level-Playing-Field setzen.
Als EU müssen wir eine Vorbildrolle einnehmen und dafür sorgen, dass die Textilien, die bei uns in den Läden verkauft werden, einen hohen Umwelt- und Menschenrechtsstandard garantieren. Wir müssen als Gesetzgeber*innen klare Rahmenbedingungen schaffen, denn der Textilsektor zählt zu den am wenigsten regulierten Industrien und ist zum Sinnbild unserer Wegwerfgesellschaft geworden. Sehr viele freiwillige Maßnahmen und Verpflichtungen von Unternehmen haben einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung geleistet aber die Realität zeigt, dass diese bei Weitem nicht ausreichen. Nachhaltigkeit wird durch den legislativen Weg zur Standard- und nicht zur Ausnahmeregelung. Auch nationale Einzelgänge werden das Problem nicht an der Wurzel packen – wir brauchen ein Verbot auf EU-Ebene, um auch mögliche Schlupflöcher im Binnenmarkt zu schließen.
Ich fordere eine europäische Gesetzgebung, die garantiert, dass Mode nicht auf Kosten von Naturzerstörungen und Menschenleben produziert wird.
Die Fragen stellte Franziska Korn, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte & Gute Arbeit weltweit bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Das gesamte Interview findet ihr ihr bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.