„Zu Reisen bedeutet sich zu entwickeln.“, so sagt man jedenfalls. Der heutige Tag ist für mich ein wichtiger Punkt auf einer Reise. Angefangen hat sie vor mehr als einem Jahr – mit einem Schlag in die Magengrube. Es war der 24. September, Wahlabend. Ich war im vollen Atrium des Willy-Brandt-Hauses in Berlin, um mich herum verbreiten Scheinwerfer Hitze. Kameras und Blitzlichter leuchten. überall lautes Gemurmel. Dann ab 18 Uhr … Stille. Kein Laut. Alle haben nachgedacht. Nicht einmal die Reporter haben geredet.
Und auch ich habe in diesem Moment nachgedacht. Wie soll es weitergehen? Mir ist ziemlich schnell klargeworden, dass unsere Partei nicht so bleiben kann wie sie ist. Und nach zwei weiteren Schlägen in die Magengrube, in Bayern und Hessen, wissen wir alle: Wenn wir Erneuerung, Aufbruch und neuen Erfolg der SPD wollen, ist es mit Debattencamps des Parteivorstands nicht getan. Für echte Veränderung müssen wir uns inhaltlich und personell neu aufstellen. Die Inhalte der SPD für eine neue Zeit entwickeln. Neue Gesichter nach vorne stellen. Dafür braucht es aber auch den Mut zu kandidieren. Und deshalb hat mich meine Reise an diesen Punkt heute gebracht.
Wir brauchen einen neuen Weg, eine neue Reiseroute und ein neues Reiseziel für die SPD und für Europa. Ich will dabei mitmachen. Verantwortung tragen. In Europa.
Die Probleme sind zu groß, um sie allein zu lösen. Europa wird aktuell lahmgelegt von Neoliberalen und Konservativen. Menschen sterben im Mittelmeer – Europa schaut weg. Der Klimawandel bringt uns Dürre und anderswo Tsunamis – Europa sucht nach der kleinsten Lösung. Es gibt 350 Milliardäre und gleichzeitig Millionen Jugendliche ohne Arbeit – Europa versteckt sich vor der sozialen Frage.
Man kann da von Versäumnissen und dem Bohren dicker Bretter sprechen. Kann man machen. Ich nicht. Ich sage: Europa pennt! Wir müssen Europa aufwecken.
Ich bin da ganz ehrlich: Es gibt Momente da schäme ich mich. Ich schäme mich dafür, wie wenig von europäischen Idealen übrig ist. Die Würde jedes Menschen schützen. Nie wieder Krieg in Europa. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit von der alle profitieren. Wo bleibt das klare Bekenntnis jenseits warmer Worte? Manchmal scheint mir, die EU hat sich selbst aus den Augen verloren. Auch deshalb stehe ich heute hier.
Die Reise, von der ich eingangs sprach Sie war eine lange Reise. Genauer genommen hat sie sogar vor meiner Geburt begonnen. Vor über 30 Jahren, über 5000 Kilometer entfernt im Iran. Meine Oma ist mit ihren Kindern, unter anderem meiner Mutter, die da hinten sitzt und damals 18 Jahre alt, als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Ich spreche darüber nicht viel. Es macht aber schon etwas mit meinem Blick auf Europa. Ich verstehe, warum Menschen in Europa Freiheit und Sicherheit sehen. Weil meine Familie sie hier gefunden hat. Deshalb bin ich fest überzeugt:
In dem Glauben der Menschen, die zu uns wollen, können wir unsere eigenen Ideale wiederentdecken. Das treibt mich an.
Die Leidenschaft für ein Europa des Friedens statt der Aufrüstung.
Die Leidenschaft für ein Europa der Gerechtigkeit statt der Steueroasen.
Die Leidenschaft für ein Europa der Menschenwürde statt des Hasses.
Die Leidenschaft für ein Europa der Zusammengehörigkeit statt der Spaltung
In den letzten Monaten hat mich meine Reise vor allem durch Schleswig-Holstein geführt. In fast 20 Vorstellungsrunden habe ich mit euch diskutiert – darüber was Europa macht und darüber was Europa kann. Und ich habe viel von euch gelernt. Die vielen tollen Begegnungen haben mich in meinem Weg bestärkt.
Und es sind eben nicht die großen Namen, die mich da auf meinem politischen Weg geprägt haben. Es sind die Menschen, die in beispielsweise Tunesien, Israel, Palästina, Bosnien-Herzegowina treffen durfte. Die eindrucksvoll zeigen, dass es eben nicht Säbelrasseln ist, dass Frieden und Demokratie stärkt, sondern Dialog und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die unter viel schwierigeren Bedingungen, das gleiche machen wie ich, wie wir: Daran arbeiten, dass unsere Zukunft besser wird und wir friedlich, demokratisch und solidarisch miteinander leben können. Die für Veränderungen mobilisieren wollen und dafür Verantwortung übernehmen.
Und jetzt stehe ich vor euch. Wird es der Endpunkt dieser Reise oder der Ausgangspunkt für ein viel größeres Abenteuer? Ihr habt es in der Hand! Ich bin nicht die typische Wahl als SPD-Kandidatin. Aber die SPD Schleswig-Holstein ist auch kein typischer Landesverband. Ich habe keine Mandatserfahrung und stand auch noch nie auf einer Liste. Vielleicht denken einige sogar, ich sei zu jung. Dagegen kann ich nichts sagen. Ja, meine Perspektive ist diejenige einer jungen Frau. Die ihre Ausbildung abgeschlossen hat und den Berufseinstieg begonnen hat. Eine Lebensrealität, die mir – nicht nur im europäischen Parlament – aber nicht gerade überrepräsentiert scheint. Aber nicht nur das. Ich bringe eben 10 Jahre partei- und gewerkschaftspolitische Erfahrung und ein großes internationales politisches Netzwerk mit.
Wisst ihr was: einige meiner Freunde sagen, ich sei verrückt. Für die SPD antreten – in dieser Lage und dann auch noch in erster Reihe. Aber so ist das mit Überzeugungen: Sie treibt einen an, Dinge zu tun, die unbequem sein können. Deswegen verbringen wir unsere Samstage, unsere Sonntage und manchmal – wie heute bei mir – sogar unsere Geburtstage in Hallen wie dieser.
Jetzt liegt es an euch, jetzt brauche ich euer Vertrauen. Geht mit mir auf diese Reise. Lasst uns gemeinsam für ein Europa der Hoffnung kämpfen. Für das Europa, das meine Familie und Millionen andere sehen und gesehen haben. Ein besseres, ein solidarischeres Europa. Ich habe richtig Lust, für dieses Europa zu kämpfen! Der Wahltag am 26. Mai endet nicht mit einem Schlag in die Magengrube enden. Diesmal nicht! Wir sorgen gemeinsam für einen Wahlabend, der ein Wendepunkt unserer gemeinsamen Reise wird. Lasst uns unsere sozialdemokratische Leidenschaft zusammentun und ab heute gemeinsam reisen. Ich will Verantwortung für die Partei und in Europa nehmen. Und eines kann ich euch versprechen: Zu Reisen bedeutet sich zu entwickeln!